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18 09 | '13

Die Theorie

Wir hatten heute "Theorieunterricht" in englischer Sprache. Die Dozentin erzählte von ihrem Vater, der ein ganzes zusätzliches Haus für Bücher brauchte, weil er so ein leidenschaftlicher Sammler war. Sie gab uns schliesslich die Fragestellung: "Reflektiert unsere Sammlung, wer wir sind - oder formt sie uns?"

Ich finde, es reflektiert sehr, wer man ist. Ich sammle Ideen, Vorstellungen - Weltanschauungen. Es fing alles mit dem Schreiben an. Als ich entdeckte, dass ich in meinem Alltag Momente wie mit einer Kamera einfangen kann, indem ich darüber schreibe. Und dann habe ich begonnen, die Realität umzuformen wie eine Knetmasse. Damit zu spielen. Bis daraus Geschichten wurden, die genau das widerspiegelten, was in meinem Leben passierte. Natalie Goldberg spricht in ihrem Buch "Schreiben in Cafés" vom Kompostieren. Es muss alles auf dem Kompost landen und da lange liegen, bevor es zu fruchtbarer Erde wird. So empfinde ich das Sammeln auch. Ich beschäftige mich mit dem Feminismus, dem Minimalismus, dem Buddhismus, den Religionen allgemein, mit der Kommerzialisierung und deren Konsequenzen - und dann aber auch wieder sehr mit mir selbst und mit meiner Geschichte. 

Manchmal denke ich, ich betrachte zu sehr meinen eigenen Bauchnabel, aber gleichzeitig merke ich, dass das auch irgendwie notwendig ist. Mich selbst auch zu reflektieren. Die Selbstfindung ist auch ein grosses Thema von mir. Ich habe lange gebraucht, um mich selbst zu finden. Und ein Stück Weit glaube ich, dass man sich vielleicht bis zu seinem Tod niemals richtig "findet". Ich entdecke immer wieder neue Themen, ich verändere mich immer wieder. Wie die Buddhisten sagen: Das "Ich" existiert gar nicht, in Wirklichkeit ist unsere Persönlichkeit nur eine Zusammensetzung aus unzähligen Abläufen und Gedanken und Gefühlen und Erlebnissen. Vielleicht könnte man die gewagte Hypothese aufstellen, dass wir selbst als kleine oder grosse Sammlungen auf dieser Welt herum laufen. Jeder hat seine persönliche Geschichte. Jeder hat etwas anderes erlebt. Und all das, was wir so aufnehmen, das formt uns doch auch - manchmal stärker und manchmal weniger. Und manche prägenden Erlebnisse vergessen wir nie wieder. 

Ich erinnere mich beispielsweise noch genau an dem Moment, als ich erfuhr, dass ich an der HSLU aufgenommen wurde. Ich war den Tränen nahe vor Freude - weil sich die harte Arbeit und auch der Stress gelohnt haben. Und dann kam die Verunsicherung. Was nun? Was passiert überhaupt in diesem Studium? Ich bin 28 - werde ich umgeben sein von lauter jungen Menschen frisch vom Gymnasium, werde ich mich da überhaupt wohl fühlen? Die ganze Woche an einer Schule zu sein nach so langer Zeit - stehe ich das überhaupt jemals wieder durch? Es sind noch keine drei Wochen durch und ich muss schon jetzt sagen: es hat sich gelohnt. Ein Dozent im Vorkurs hat mir damals gesagt: Du kannst das alles auch zu Hause machen - aber du wirst niemals so intensiv an der Sache dran sein wie in deinem Studium. Er hatte Recht. 

Ich habe immer wieder zugunsten der Jobs auf das Zeichnen verzichtet. Der Schritt in das Studium war für mich die einzige Art, zu sagen: das ist mir wichtig und nicht das Geldverdienen. Denn das andere ist immer nur ein Laufband - man rennt und rennt und denkt, es sei irgendwann vorbei. In Wirklichkeit hat das Laufband jedoch kein Ende, es ist ein zu einem Kreis geschlossenes Gummiteil. Wenn nicht jemand aus Versehen über das Kabel stolpert und den Stecker aus der Wand reisst, dann geht es einfach immer weiter. Bis man sich selbst entscheidet, auszusteigen. Mit der Konsequenz, viel weniger Geld zu verdienen, ja*. Mit der Unsicherheit, ob man es überhaupt jemals schafft. Ob man überhaupt gut genug ist. Aber ein guter Freund hat mir kürzlich wieder gesagt: "Wieso trimmst du dich immer so auf Leistung? Tu doch einfach, was du liebst!" Er hatte Recht. Wenn ich achtzig bin, will ich kein gefülltes Pflichtenheft - sondern massenweise gefüllte Skizzenbücher, von denen einem die Lebensfreude entgegen sprudelt. 

Das war ein kleiner Beitrag aus meiner eigenen Sammlung.

 

*Ich arbeite natürlich noch neben dem Studium, sonst könnte ich mir das nie finanzieren.