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05 12 | '13

Ein erster grosser Rückblick

Was ich nach über zehn Wochen Studium langsam verstanden habe: man muss sich hier kleine Projekte vornehmen. Mit grossen Projekten überfordert man sich, überlädt sich und ist am Ende frustriert, wenn die Zeit schon abgelaufen ist und man mit nichts zufrieden ist. Bin ich ein interessantes Insekt oder was?! Ich würde auch am liebsten gleich den Sinn des Lebens erklären und die Wirtschaftskrise nachbilden. An einem kleinen Projekt kann man aber viel besser feilen und experimentieren, bis es stimmt. Wenn ich das richtig verstehe, sind wir im ersten Jahr vor allem hier, um die Techniken zu lernen, um unser visuelles Repertoire zu erweitern. Und das klappt in letzter Zeit immer besser. Habe ich früher praktisch nur mit Kugelschreiber gearbeitet, bin ich inzwischen viel breiter geworden.

Wieso machen wir die Druckwerkstatt? Die Dozentin hat uns ein gezeichnetes Bild gezeigt und gesagt: Wenn der keine Ahnung von Druck hätte, hätte er das hier nicht so zeichnen können. Und es stimmt - man fängt viel mehr an Schichten zu denken, man geht anders mit Farbe um, man experimentiert mit Gravuren im Papier, man arbeitet mit Linien und Flächen ("und" - nicht "oder"). Egal, ob man beim Druck bleibt oder nicht - es eröffnet sich eine komplett neue Welt. Eine andere Dozentin hat einmal zu mir gesagt: Du solltest einmal mit einem dicken Pinsel arbeiten - das Erlebnis wird dich prägen, auch wenn du danach wieder auf die kleinere Grösse zurückkehrst. Und genau das ist es. Jedes Erlebnis ist prägend. Jede Erfahrung, jedes Ausbrechen, jedes Abenteuer erweitert die eigenen Möglichkeiten und führt einen zum nächsten Level.

Ich kann bereits zu diesem Zeitpunkt sagen, dass ich mehr gelernt habe als ich mir innerhalb so kurzer Zeit hätte vorstellen können. Ich dachte: ach komm, das schaffst du auch allein - wozu brauchst du das Studium überhaupt? Inzwischen würde ich sagen, dass es sehr viel Selbstdisziplin, ein auf konstruktive Weise kritisches Auge für die eigen Arbeit, sehr viel Zeit und sehr, sehr, sehr viel Mut braucht, ständig über die eigenen Grenzen zu gehen. Da hilft es manchmal, wenn einen die Dozierenden über die Kante schubsen, wenn man am (vermeintlichen) Abgrund steht. Und einen wieder auffangen, wenn es gar nicht mehr geht. Eine Kollegin hat mal gesagt: Wir alle brauchen jemanden, der uns das Händchen hält. Definitiv wahr. Als Kind brauchen wir die Hände der Eltern, wenn wir zum ersten Mal ohne Stützräder unterwegs sind. Selbst wenn die Hände uns nicht halten, geben sie uns ein Gefühl von Sicherheit. Erst durch sie trauen wir uns überhaupt, die Stützräder wegzulassen.

 

Nach etwa vierzehn Wochen fühle ich langsam, wie ich wieder aus der Starre erwache, die von mir Besitz ergriffen hat. Die ersten Tage hatten etwas von einer Schockstarre. Ich kam in den Zeichnungsunterricht und war so ziemlich die Schlechteste von allen. Und dann spürten wir langsam, dass realistisches Zeichnen noch lange nicht alle Möglichkeiten ausschöpft. Nachdem ich mich von dem Gefühl gelöst hatte, eine Totalversagerin zu sein, merkte ich, dass es etwas Gutes hat, zunächst einmal zu versagen. Wenn du schlecht bist, erwartet keiner etwas von dir - du hast nichts zu verlieren. Das gibt mir die Freiheit, zu experimentieren. 

Meine ersten Zeichnungen im Zeichnungsmodul? Die Dozentin versuchte, mir möglichst schonend beizubringen, dass die Zeichnungen dann doch nicht so wahnsinnig gut wären. Und dann pushte sie mich immer wieder bis an meine Grenzen. Ich erkannte, dass man nach diesem Totpunkt weitermachen und hindurch pushen muss, dass dahinter die erstaunlichsten Entdeckungen warten. Dass ich viel mehr Energie und Willenskraft habe, als ich dachte.

"Ich habe das Gefühl, dass du noch freier werden könntest - was blockiert dich so?"

"Komm, fang man an, rumzudreckeln!"

"Jetzt nimm mal diesen Aspekt hier und mach ihn auf ein einzelnes Blatt - und dann lass die Finger davon!"

 

Meine ersten Drucke im Druckmodul? Verschmiert, man erkannte kaum etwas drauf, ich knallte zwei Farben übereinander - schade um das gute Papier. Das nächste Bild - wieder mal fand ich mich in der Situation, dass eine Dozentin zu mir sagt: Schmeiss doch nicht alles auf dasselbe Bild! Überlege dir, was deine Kernaussage ist und bring das zu Papier. Und diesmal fiel der Zwanziger.

"Ich kann ja tatsächlich mehrere Bilder machen, statt alles auf dasselbe Bild zu schmeissen!"

 

"Auf dem Zahnfleisch kriechen" trifft es nicht ansatzweise, wie ich mich zwischendurch gefühlt habe. Heute ist ein Tag, an dem ich sagen kann: "Es hat sich gelohnt - und ich bin stolz auf mich." Es kann sein, dass morgen wieder alles ganz anders ist, dass ich morgen wieder total blockiere oder dasselbe wieder und wieder wiederhole. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Aber heute - heute geniesse ich einfach mal dieses Hochgefühl.

 

Und was die Noten angeht, so hat uns der Studienleiter von Anfang an gesagt: "Noten sind unwichtig. Ihr arbeitet für euer Portfolio." Ich weiss nicht, was für eine Note ich im letzten Modul hatte. Ich will es gar nicht wissen. Am meisten habe ich Angst vor einer guten Note. Gute Noten machen mich überheblich. Vielleicht ist das meine nächste Lektion - wie man mit Lob und Anerkennung umgeht, den Höhenflug geniesst und dann aber auch wieder runter kommt.

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