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15 10 | '14

Einen Charakter entwickeln

Nein, mit dem Titel ist nicht die Entwicklung des eigenen Charakters gemeint. Wir sind gerade dabei, einen Charakter für eine Geschichte zu entwickeln. Ich habe schon gelernt, dass es gerade beim Zeichnen ganz sinnvoll sein kann, an der Protagonistin, dem Hauptcharakter ein bisschen "vorbei zu schielen". So kann man sich überlegen, was diese Person trägt, was alles in ihrem Pass steht, welche Reisen sie unternimmt. Meine Figur heisst Lena, sie ist ein fernsehsüchtiger Teenager. Weil sie ständig vor dem Fernseher sitzt, hat sie natürlich auch mit Übergewicht zu kämpfen.

Womit ich wiederum zu kämpfen habe, ist die Frage, was ich eigentlich will. Design steht sehr stark in Zusammenhang mit Auftragsarbeit - da ist ein Kunde mit eigenen Wünschen und Vorstellung, manchmal sogar eine Marketingabteilung mit sehr exakten Vorstellungen. Kunst wiederum ist komplett für sich und verweigert sich ein Stück weit dem Geld, auch wenn auf dem Kunstmarkt natürlich auch nicht mit Hosenknöpfen bezahlt wird. Das sind keine exakten Definitionen, aber ungefähr so habe ich die beiden Felder verstanden. Und dann ist da noch die Illustration, die irgendwo dazwischen ist. Aber ich finde den Begriff Illustration inzwischen problematisch.

Es ist so wie beim Begriff Liebe. Es triggert Bilder von Herzchen, von Kerzchen und von vielen Umarmungen und Küsschen. Sprich: ein Klischee. Dabei ist Liebe vermutlich für jeden genauso individuell wie die eigene Handschrift.

Und wenn man anfängt, Illustration zu studieren, hört man plötzlich überall Definitionen davon, was Illustration ist. Von Mitstudierenden, im Netz, von der Welt da draussen.

"Das ist doch keine Illustration, also für mich ist das eher Kunst!"

"Also das hier ist für mich ganz typisch Illustration!"

Wenn ich nach diesen Aussagen gehe, ist Illustration klein, knuffig, niedlich und harmlos, vielleicht manchmal ein bisschen neckisch. Sie ist immer heiter, immer gut drauf, immer zu einem Scherz bereit - aber manchmal auch ein bisschen zu oberflächlich. Und sie besteht optisch aus einem reduzierten Stil mit schwarzen Linien oder im besten Fall noch als Comic.

Glücklicherweise ist das genauso ein Klischee wie die perfekte Liebe, die ohne Harmoniestörungen abläuft. Manche erfüllen das Klischee, für manche ist es genau die Art, wie sie existieren, wie sie zeichnen möchten. Und zum Glück ist es keine Norm, denn sonst wäre ich keine angehende Illustratorin, sondern lieber sowas wie eine ostfriesische Bulldogge.

Ich verstehe das Bedürfnis nach Normen, nach Richtlinien. Aber für mich ist Illustration mehr Kunst als Dienstleistung, mehr ein Herzensbedürfnis als eine Pflichterfüllung. Ich mag zwischendurch heitere Geschichten, ich mag witzige Cartoons. Aber wenn ich nur das zeichne, fehlt mir irgendwann etwas. Ich will die unbequemen Themen anpacken, die, mit denen man sich vielleicht nicht so gerne beschäftigt. Fernsehsucht als ein Beispiel - ein Teenager, der zu Zeiten von Germanys Next Topmodel aufwächst und sich fragt, wie sie selbst eigentlich aussehen sollte. Das Erwachsenwerden, das so viele Fragen aufwirft, wo man mit dem Teddy im Arm und der Zigarette in der Hand dasteht.

Und deshalb bin ich froh, dass die Illustration so grossmütig ist und diese Themen genauso in ihre Arme aufnimmt wie die lustigen Stories darüber, was der Nachbarshund so anstellt. Meine Liebe zur Illustration ist deshalb auch immer wieder durchzogen von Streitphasen, manchmal kläffen wir uns gegenseitig an, aber dann wieder finden wir uns gegenseitig super und laufen Händchenhaltend durch die Strassen.