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19 05 | '14

Tag 4 und 5: Zeichnen auf der Baustelle

Tag 4

Heute lief gar nichts. Von Selbstzweifeln zerfressen sass ich da, versuchte, wenigstens ein einziges anständiges Bild hinzukriegen. Umwerfend war das Bild ja nicht gerade.

Tag 5
Heute bin ich nochmals mit frischem Elan an die Sache. Eigentlich wollte ich mir den Bagger nur ansehen, der das Haus abreisst. Aber dann packe es mich. Trotz voller Blase und knurrendem Magen setzte ich mich hin bei brütender Mittagshitze und fing an, zu zeichnen. Ich wusste, die Arbeiter würden nur für kurze Zeit noch Mittagspause machen. Danach würde der Bagger nicht mehr stillstehen.
Ein Mann mit Hund kommt von der Baustelle. Offensichtlich ein Schreibtischtäter. Er guckt, was ich so zeichne. "Ist das ein gutes Sujet?", fragt er. Ich bejahe. Der Bagger auf dem Trümmerhaufen in der halben Ruine - das ist super!
Eine Viertelstunde später kommt der Mann nochmals. Ob ich ihm eine Kopie meines Bildes verkaufen würde, fragt er. Was ich dafür wollen würde. Für eine Kopie wollte ich den netten Mann nicht abzocken, also nannte ich zehn Franken. Er bot mir fünfzig. Ich war baff. Und begeistert. Ich solle nachher mit der Zeichnung zum Container kommen, dann würde er sie dort kopieren.
Ich spürte meine drückende Blase kaum noch vor lauter Euphorie. Zunächst zeichnete ich etwas unkonzentriert weiter, dann fand ich zurück zu alter Form. Im Nachhinein könnte ich nicht sagen, ob ich die gesamte Zeichnung so beendet hätte, wäre das Geld nicht als Anreiz da gewesen. Vielleicht hätte ich dem Hunger nachgegeben.
Nachmittag. Ich treffe eine Kollegin aus dem Kurs. Gemeinsam wagen wir uns hinein, um nach Helm und Schutzweste zu fragen. Die braucht man nämlich, wenn man in der Nähe der Bagger zeichnen will.
Der ältere Italiener kommt zwischendurch zum Plaudern. Es ist heiss, die Arbeit ist anstrengend, das sieht man ihm an. Er sei eigentlich Pädagoge, er arbeite demnächst wieder in einem Behindertenheim. Er habe schon mehrere Angebote.
Später sucht er seine Wasserflasche. Da entdeckt er sie: sein Kollege ist mit dem Bagger drüber gefahren. Perfekt gepresst für die PET-Sammlung.
Ich bin dann doch froh, als mein Tag zu Ende geht. Es ist heiss, mein Gesicht brennt trotz Sonnencreme. Meine Nase hat noch Sonnenbrand von letzter Woche. Das wird wahrscheinlich nicht besser. Aber was tut man nicht alles für die Karriere...

Vor lauter Erlebnissen und Neuigkeiten könnte man beinahe das Zeichnen vergessen. Dabei ist es faszinierend, wie der Bagger die Persönlichkeit seines "Herrchens" übernimmt. Wie der Arm des Baggers sich streckt und im Dreck gräbt, den Schutt dann sorgfältig in zusammengefalteter Stellung transportiert, um ihn dann lässig mit einer wegwerfenden Handbewegung fallen zu lassen. Oder wie er mal eben locker einen Container in der Gegend rumschiebt, als würde er nichts wiegen.