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18 11 | '16

Zombie-Stadt und belegte Brötchen

Kürzlich habe ich beschlossen, umzuziehen. Nicht, dass mir meine Wohnung nicht gefallen würde im sechsten Untergeschoss. Mich stören auch die Kanalisationsrohre nicht, die durch meine Wohnung verlaufen oder dass nur zweimal im Jahr, wenn die Sonne richtig steht, ein bisschen Licht durch die Ritzen fällt. In der Zeit sieht man die Stalaktiten, die sich an den Rohren gebildet haben und wunderschön über meinem Sofa hängen. Manchmal liege ich abends mit einer Taschenlampe auf dem Sofa und schaue mir diese Skulpturen der Natur an, eine Tasse Kräutertee in der Hand. Die Ratten knabbern meine Zehen nicht mehr an, seit ich sie regelmässig füttere – dafür kuscheln sie sich nachts auf mein Kopfkissen. Und die Minusgrade im Winter ertrage ich in meinem selbst gebauten Iglu im Wohnzimmer, wenn Schnee durch das Dach bricht. Nein, die Wohnung macht mir nichts aus. Es ist diese Zombie-Stadt, in der ich lebe. Der Bahnhof ist die einzige Exklave der Aussenwelt. Wenn ich Sonntags gediegen einen Kaffee in schöner Umgebung trinken möchte, gibt es sehr wenig Orte, die dann auch offen haben. Dafür muss ich aber morgens früh aufstehen, Proviant mitnehmen und ein paar Stunden laufen. Okay, es sind nur zwanzig Minuten. Mit dem Bus wären es vielleicht sieben, nur fährt der Bus sonntags nicht – nö, sonntags sollen die Leute nicht Bus fahren, die sollen zu Hause bleiben und Eile mit Weile spielen.

Vor etwa einem Jahr schon war ich hin und wieder in dieser Stadt, in der Milch und Honig fliesst und die Elfen auf den Bäumen Purzelbäume schlagen. Okay, nicht ganz. Aber dort fliessen Menschen wie Blutplasma durch die Adern der Stadt, die Häuser pulsieren und ich bin mir sicher, wenn eine Baufirma eine sehr tiefe Grube ausheben würde, würden sie irgendwann auf ein gigantisches schlagendes Herz stossen. Ich stelle mir das grad so vor, dieses gigantische schlagende Herz und ein Baugerüst drum herum, wo Leute die veralteten Hautschüppchen abschaben, den Strom messen und das Ding so allgemein im Schuss halten. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig unappetitlich, aber man soll eine Stadt ja auch nicht essen. Zigarettenstummel und Strassenbelag schmecken jetzt nicht so toll. Der Belag für das Brötchen? "Strassenbelag. Bitte den mit den kleinen Kieselsteinchen drin, die knacken immer so schön zwischen den Zähnen." Dadurch spart man sich dann die Zahnreinigung. 

Morgen muss ich früh raus, damit ich es noch bei Tageslicht zum Café schaffe. Wenn mir ein paar Untote über den Weg laufen, könnte es knapp werden...